Wissensmanagement im Unternehmen – wie sichern Sie Ihr Wissen?
24. Juni 2019
Wie lässt sich Wissen im Unternehmen bewahren? Bis zum Jahr 2031 wird sich die Babyboomer-Generation nach und nach aus dem Arbeitsleben verabschieden und in den Ruhestand gehen. Es wird mit bis zu 3,6 Millionen fehlenden Fachkräften gerechnet. Oftmals geht dabei allerdings nicht nur die Fachkraft selbst, sondern auch das angesammelte Fachwissen und Erfahrungen unwiderruflich mit. Gleichzeitig lassen sich junge Generationen nicht mehr so lange an ein Unternehmen binden. Gutes Wissensmanagement wird daher immer wichtiger. Doch wie gelingt es? Ein Interview mit Daniel Westphal – Knowledge Management Lead bei etventure.
Daniel, oftmals verlieren Unternehmen viel Potential, da sie es nicht schaffen, ihr Wissen in geeigneter Weise zu bewahren. Von welchen Herausforderungen sprechen wir aktuell?
Da lassen sich aktuell drei Dinge benennen: Zum einen haben die Unternehmen oft die Herausforderung der “Hypercompetition”, die auch durch die VUCA-Welt entsteht. In dieser VUCA-Welt (steht für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) geht es vor allem darum, Zukunft vorauszudenken und mit zeitgemäßen Lösungen das Miteinander in Unternehmen zu stärken. Die effektivste Form der Unternehmensentwicklung ist diejenige, die von den Beteiligten selbst aktiv und eigenverantwortlich mitgestaltet werden kann. Erfahrungen, Glaubenssätze und Paradigmen kommen auf den Prüfstand, da es nicht mehr den einen Weg oder das Führungsinstrument gibt. Individualität löst Standard ab. Dies bedeutet, dass sich ebenso die Gültigkeit von Informationen radikal verkürzt. Wo früher Informationen über Märkte, Kundenbedürfnisse oder Prozesse jahrelange Gültigkeit hatten, können diese nun binnen weniger Tage nicht mehr zutreffend sein.
Was ist die zweite Herausforderung?
Die zweite Herausforderung sind Künstliche Intelligenz und Automatisierung. Dabei wird sich die Art und Weise, wie menschliche Arbeit Wert stiftet, stark verändern. Durch die weiter voranschreitende Entwicklung Künstlicher Intelligenz und Automatisierung, besteht die begründete Annahme, dass alltägliche, repetitive und zeitaufwendige Aufgaben, beispielsweise Fließbandarbeiten, zukünftig automatisiert werden. Vordefinierte Abläufe werden abnehmen und es entsteht wieder mehr Raum für kreatives und verantwortungsbewusstes Lösen von noch unbekannten Herausforderungen. Dann müssen sich aber auch die Informationen anpassen. Die Informationseinheiten werden kleinteiliger und müssen untereinander hoch vernetzt sein. Somit können Mitarbeiter zukünftig selbständige Lösungen finden und nicht, wie gewohnt, die bereits vorgefertigte Lösung in Form eines vorher definierten Prozesses anwenden.
… und die dritte Herausforderung?
Und drittens ändert sich die Wertvorstellung der Menschen. Beispielsweise bei dem Thema Portfolio-Karriere: Eine Karriere wird sich zukünftig eher aus unterschiedlichen und kürzeren Jobs aufbauen, anstatt der langfristigen in nur einem Unternehmen. Die Spitze davon ist dann die sogenannte “Gig Economy”, in der Menschen gar nicht mehr angestellt werden, sondern nur auf Teilzeit kurzzeitig in das Unternehmen eingebunden werden. Damit verkürzt sich die Unternehmenszugehörigkeit von Mitarbeitern immer stärker. Auf der anderen Seite entsteht damit für das Unternehmen die Chance, neue Impulse aus anderen Unternehmen und Märkten zu erhalten.
Das sind schon mal drei Veränderungen, mancher würde sie als Bedrohung sehen. Das Gute ist aber: Unternehmen können das Thema auch für sich annehmen und eine Stärke daraus machen. Wenn es Unternehmen gelingt, auf die bevorstehenden Veränderungen besser zu reagieren, entstehen gute Wettbewerbsvorteile.
Welche Rolle spielen die verschiedenen Generationen dabei?
Die Märkte verändern sich rasant und die Generationen gleichzeitig mit. Das Wertemodell einer Generation Y ist nun mal anders als das älterer Mitarbeiter. Die Millennials werden oft als besonders wählerisch bezeichnet und das wird als Problem angesehen. Wann immer man über Veränderung spricht, wird diese schnell durch eine “Problem-Brille” betrachtet und gar nicht als vorerst wertfreie Veränderung. Klar ist aber, wer als erstes eine Veränderung für sich nutzt, der macht daraus eine Chance. Das Schöne ist: Von Mitarbeitern wird mittlerweile nicht mehr verlangt, dass sie ihre Persönlichkeit an der Garderobe abgeben, sondern der ganze Mensch wird empfangen. Jetzt besteht die Kunst darin, nutzbringend die individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen der einzelnen Personen für mögliche Unternehmenslösungen einzubauen. Das hat sich aus meiner Sicht ganz stark verändert. Aus diesem Grund muss es eben auch neue Systeme geben, wie Informationen gespeichert und auch wieder verteilt werden.
Wenn Spezialwissen alleine keine Kunst mehr darstellt, was dann? Verliert Wissen an Wert?
Der alte Begriff von Wissensmanagement hat sich sehr verändert. Früher wurde Wissen in Bibliotheken gesammelt und von vermeintlich „weisen Männern“ aufgeschrieben. Es wurde nur das aufgeschrieben, was aus deren subjektiver Sicht einen wertvollen Wert für die Ewigkeit hat. Nun setzt sich auch bei Wissen, Informationen und Daten eine Art Demokratisierung durch: Was später einmal wichtig ist, kann man jetzt noch gar nicht wissen und da geht es dann vor allem um das Ausprobieren und den Mut. Wissen wird auf jeden Fall generischer und die Kunst liegt darin, es an der richtigen Stelle einzusetzen und zu verknüpfen. Es geht darum einen Transfer zu leisten. Beispielsweise wenn ich ein Buch über Botanik lese und über das Wachstum von Organismen. Auf einmal kann ich dieses Wissen in ein Organisationsdesign übertragen, weil auch Organisationsteile wachsen, blühen und verdorren können. Damit schaffe ich eine Transferleistung. Das Buch über Biologie selbst verliert dann nicht an Wert, aber der Wert entsteht erst in einem neuen Kontext, um ein konkretes Problem zu lösen. Das Schöne ist, dass Informationen aktuell auch sehr gerne geteilt werden. Ein gutes Beispiel dafür sind Trends wie “Working Out Loud”, bei dem Menschen absichtlich mit Unternehmensinformationen und halbfertigen Ergebnissen herausgehen, um sich durch andere Menschen Inspiration zu holen. Aber erst, wenn dieses Wissen für ein konkretes Arbeitsumfeld eingesetzt wird, entsteht Wertschöpfung.
Welches Wissen ist denn überhaupt relevant?
Das ist sehr spannend, darüber haben wir auch nachgedacht und anschließend bei etventure eine große Umfrage gestartet. Wir haben beispielsweise gefragt, was Kollegen*innen suchen, wenn sie ein Problem haben. Es stellte sich heraus, dass es hauptsächlich um Menschen mit ihren Erfahrungen geht und nicht um konkrete Informationen. Gesucht wurden andere Menschen und der Grund dahinter ist relativ simpel: Eine Information verliert enorm schnell an Haltbarkeit. Die Zeitdauer, in der eine Information für andere wertstiftend sein kann, hat sich sehr stark verkürzt. Dazu kommt, dass das Speichern von Informationen so leicht geworden ist, dass es länger dauert die Information dann überhaupt zu suchen. Manchmal ist es leichter, gar keine Antwort zu bekommen als 200, denn die müssen ja auch alle durchgelesen und einsortiert werden. Die einfache Anzahl gesammelter Informationen bringt mich somit nicht unbedingt weiter. Genau darin liegt auch die große Herausforderung der Wikis. Natürlich ist es für Unternehmen erstmal sehr einladend zu seinen Experten zu sagen: “Bitte schreibe alles, was du weißt, hier hinein.” Wichtig ist aber dabei zu bedenken, dass die Person das nur in ihrer Struktur und in ihrem Denkmodell machen kann. Doch weniger ist in diesem Zusammenhang oft mehr. Technisch lässt sich dies beispielsweise durch automatisches Depublizieren lösen, bei dem nach einer eingestellten Zeit – beispielsweise 30 Tagen – der Ersteller gefragt wird, ob die Informationen noch aktuell sind oder er sie aktualisieren möchte. Erfolgt keine Antwort oder Aktion werden die Inhalte in das Archiv verschoben.
Übrigens, damit Mitarbeiter auch mit vollem Herzen dabei sind, wird eine andere Art von Wissen immer wichtiger: Das Wissen über die Ziele des Unternehmens. Ich spreche dabei nicht von rein monetären Zielen, sondern von der Vision und den Werten. Eine Vision und Werte allein helfen jedoch den Mitarbeitern nicht direkt, es bedarf dazu einer Operationalisierung. Hierzu eignen sich Methoden wie OKR (Objectives and Key Results), die transparent ein Wissen in der gesamten Organisation herstellen, wie alle Bereiche fokussiert und dennoch frei in der konkreten Lösung auf ein gemeinsames und messbares Ziel hinarbeiten können. Erst wenn allen Mitarbeitern die Ziele klar sind, können diese artikulieren, welche Informationen und Expertisen ihnen fehlen.
Das einfache Sammeln von Wissen scheint also keine zufriedenstellende Lösung zu sein. Gibt es bereits andere gute Möglichkeiten, um Wissen zu bewahren?
Ein Problem der Wikis besteht darin, dass häufig nur erfolgreiche Handlungsweisen niedergeschrieben werden. Was ich leider selten in Systemen sehe, sind die Misserfolge, also eine Kategorie “Lessons-Learned”. Wir reden ja oft über die Fehlerkultur und da kann hilfreich sein, die eigenen Fehler aufzuschreiben. Wir wissen gar nicht, welche Informationen in welchen Kombinationen einen Sinn ergeben können. Wir müssen viel mehr mit den Informationen aus dem Unternehmen experimentieren, diese neu arrangieren, nutzen und auch wirklich immer hinterfragen. Nicht, was kann ich speichern oder kann ich noch mehr speichern, sondern nutzt diese Information wirklich jemandem? Gerade in Zeiten von Big Data möchte jeder möglichst viele Daten speichern. Aber bevor ich etwas speichere muss der Test immer sein: Gibt es jemanden, dem diese Information nutzt?
Es geht also auch darum, die richtigen Personen für einen persönlichen Austausch zu finden?
Ja genau. Das kann aber auch über Systeme funktionieren. Jeder sollte Informationen bereitstellen oder austauschen können, doch brauchen wir auf der anderen Seite auch ein Feedback-System, um diese zu bewerten. In diesem Feedback zeigt sich dann, ob meine Information anderen weitergeholfen hat. Wir arbeiten also mit einem lernenden System.
Wie kann man Menschen motivieren ihr Wissen freiwillig zu teilen?
Es liegt grundsätzlich in der Natur des Menschen, auch anderen helfen zu wollen. Aber vor allem bei dem Thema Wissen ist das ein Lernprozess. Ein Mitarbeiter braucht die Sicherheit, dass sein Job nicht von seinem gesammelten Wissen, dem manchmal sogenannten „Herrschaftswissen“ abhängt, sondern von seiner Transferleistung. Sobald ein Mitarbeiter feststellt, dass sein Wissen anderen weiterhilft, kann das Teilen von Wissen auch Spaß machen und die Unternehmenskultur stärken. Dasselbe passiert auf Social Media jeden Tag: Informationen einordnen und bewerten. Das freiwillige Teilen von Wissen hat aber vor allem etwas mit gemeinsamen Werten und der Kultur im Unternehmen zu tun. Natürlich können Unternehmen das Teilen von Wissen incentivieren, beispielsweise in Form von Bonuszahlungen. Aber am Ende ist der Austausch von Wissen dann am erfolgreichsten, wenn alle für die gleichen Werte einstehen und verstehen, dass es nur dann möglich ist, dauerhaft ein erfolgreiches Produkt in einem unsicheren Marktumfeld anzubieten. Alle Mitarbeiter, aus allen Bereichen, müssen an einem Strang ziehen. Dies ist nur durch das Teilen von Informationen möglich.
Danke für das Gespräch.
Gerne!
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