Während Virtual Reality (VR) lediglich einen Schlüssel zu einer neuen Welt bietet, “erweitert” Augmented Reality (AR) die Welt, in der wir leben. Dabei liefert die Technologie hilfreiche Kontextinformationen oder fügt einer bestehenden Anwendung ein weiteres Feature hinzu. Warum ist der Hype um AR-Anwendungen momentan so groß? Und gibt es bereits Use Cases mit einem ernsthaften Geschäftswert rund um AR?
Über die Realität hinaus
Bei Augmented Reality (AR) geht es um die Erweiterung der realen Welt durch kontextuelle oder nicht-kontextuelle Informationen, die dem Nutzer vorgeben, tatsächlich zu existieren. Diese Informationen sind zwar virtuell, geben dem Nutzer aber das Gefühl, real zu sein.
AR erfordert eine Kombination aus Hardware- und Software-Tools, um die verschiedenen Ebenen miteinander verbinden zu können. Die reale Welt wird dabei meist über eine Kamera dargestellt. Ihre Hauptaufgabe ist es, dem Nutzer die reale Welt durch Augen zu zeigen, die – im Gegensatz zu menschlichen Augen – auch digitale Informationen wahrnehmen können. Ein Beschleunigungssensor, ein Gyroskop (ein Kreisinstrument, mit dem sich die Ausrichtung des Smartphones genau bestimmen lässt) und eine Tiefenerkennungsfunktion sorgen dafür, dass sich der Nutzer buchstäblich in einer Realität mit erweiterten Elementen und digitalen Informationen bewegen kann. Wenn man die Realität aus der Gleichung herausnimmt, erhält man Virtual Reality (VR).
AR ist nicht neu, aber es ist definitiv reif.
Die Idee hinter AR ist weder neu noch ultramodern. Ich persönlich erinnere mich, dass ich 2009 das erste Mal eine AR-Anwendung genutzt habe, als ich euphorisch die App AR-Maps auf meinem iPhone 3G installierte. Damit verfügte bereits das iPhone der zweiten Generation über GPS und einen digitalen Kompass, die diese Funktionalität ermöglichten.
Auch wenn es die App heute nicht mehr gibt, hatte AR-Maps selbst nach heutigen Maßstäben ein smartes Konzept: Der Nutzer musste nur sein iPhone auf den Horizont richten und konnte Google Maps-Standorte auf seiner Kamera sehen. Ganz im Sinne des MVP-Gedankens war die Lösung zwar fehlerhaft und wackelig, aber dennoch unbestritten innovativ.
Obwohl die Funktionalität im Laufe der Zeit verbessert wurde (das iPhone 4 enthielt ein Gyroskop, das die Bewegung leicht stabilisierte), erwies sich AR-MAPS als ein Konzept ohne wirklichen Use Case in der realen Welt. Nachdem der Wow-Effekt also vorüber war, verschwand die App von den iPhones der Benutzer.
Was hat sich seither geändert?
Der Status quo
Momentan ist die Verwendung von AR noch immer recht kompliziert. Oft befindet man sich in einer Situation, die aufgrund ungünstiger Lichtverhältnisse oder inkompatibler Wand- oder Bodenfarben nicht geeignet ist. Was auf Konferenzen und bei Keynotes immer so leicht aussieht, ist in der Realität eine Herausforderung. Schließlich werden die Bühnen unter besonderen Bedingungen aufgebaut, die Beleuchtung optimiert und die Präsentationen ordentlich geprobt.
Und dennoch lohnt es sich, AR auch für die breite Masse eine Chance zu geben. Denn dahinter steckt eine aktuelle Technologie, die bereits ein Drittel der Weltbevölkerung täglich nutzt: Smartphones. Das haben auch die Hardware- und Softwarehersteller erkannt und 2017 wichtige Grundlagen geschaffen, die AR ermöglichen.
- Apple veröffentlichte mit iOS 11 ein ARKit und stellte Entwicklern dedizierte Software Development Kits (SDKs) zur Verfügung, um die Entwicklung von AR-Anwendungen für iPhones und iPads zu fördern. Die Kameras der neuesten iPhone-Generation (iPhone 8, iPhone 8 Plus und iPhone X) sind speziell für AR neu kalibriert, um die oft suboptimalen Bedingungen zu verbessern.
- Nur wenige Monate später folgte Google mit ARCore, einer kostenlosen Plattform für Android-Systeme, die ein ähnliches SDK für AR ermöglicht wie ARKit für kompatible Geräte.
- Auf der Hardware-Seite hat Microsoft mit 3.000 US-Dollar teuren, aber sehr modernen HoloLens Headsets einen Vorsprung hingelegt. Für ein Massenprodukt zu teuer, bieten HoloLens Headsets nun aber interessante Anwendungsfälle für ortsunabhängige Ingenieurarbeiten. Das optimierte Nachfolgeprodukt soll voraussichtlich 2019 ausgeliefert werden.
Warum jetzt?
Aus Business-Perspektive stellt sich also die Frage: Warum genau jetzt mit AR starten?
Erstens ist es schon allein aus Marketing-Sicht immer vorteilhaft, aktuelle Gimmicks aufzugreifen und technologisch auf dem neuesten Stand zu sein. Zweitens war die Entwicklung von AR-Anwendungen dank Toolkits wie ARCore und ARKit nie einfacher und günstiger. Lösungen wie ThingWorx entfernen sogar die meisten Codierungsbarrieren und ermöglichen die Erstellung von AR-Erfahrungen mit nahezu keinen Programmierkenntnissen. Und drittens haben die Entwicklungen endlich einen Punkt erreicht, an dem auch die Hardware so weit aufgeholt hat, dass AR dem Nutzer ein wirkliches Erlebnis bietet.
Als Wingnut AR im letzten Jahr auf der Apple-Entwicklerkonferenz sein erstes AR-Spiel vorstellte, staunten selbst AR-Experten und Geeks. Entwickelt wird das Spiel unter anderem mit dem von Apple angekündigten ARKit.
Eines der größten Anzeichen dafür, dass die Zeit für AR wirklich reif ist, ist das neue Google Glass Programm des Google-Mutterkonzerns Alphabet. Was vor ein paar Jahren noch als einer der größten Flops des Unternehmens galt, wurde nun wie ein Phoenix aus der Asche als industrielle Lösung für Schutzbrillen wieder auf den Markt gebracht und konnte in den vergangenen Monaten am Markt Fuß fassen.
Die Technologie ist also bereit, das Programmier-Know-how ist da – jetzt geht es darum, in einem kreativen Prozess die richtigen, lebensnahen Anwendungsfälle für AR zu finden. Die Zeit für Augmented Reality ist jetzt gekommen, und es war noch nie so einfach, in das Thema einzusteigen.