Braucht Deutschland einen Digitalminister?

07. November 2017

Die Bundestagswahl liegt mehr als einen Monat zurück, die Koalitionsverhandlungen sind in vollem Gange. Auch wenn die Parteien der immer wahrscheinlicher werdenden Jamaika-Koalition über viele Fragen noch streiten, in einem sind sich alle einig: Die digitale Transformation ist eines wichtigsten Themen der nächsten vier Jahre und muss nicht nur vorangetrieben, sondern auch sinnvoll gestaltet werden. Es stellt sich also die Frage nach dem “Wie” – und die Frage, wer es denn nun letztendlich tun soll. Die Union fordert einen Staatsminister für Digitales im Bundeskanzleramt, während Grünen-Chef Cem Özdemir und die FDP sich bereits im Wahlkampf für einen Digitalminister ausgesprochen hatten. Aber ist das Digitalministerium tatsächlich der richtige Weg?

Bislang teilen sich mehrere Ministerien die Verantwortung, darunter das Wirtschafts-, das Verkehrs- und das Innenministerium. Das ist prinzipiell auch richtig so – schließlich betrifft das Thema alle Bereiche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In der Praxis führt das hingegen zu Unklarheiten, wer nun tatsächlich wofür zuständig ist. Jeder will mitreden – und am Ende passiert meist wenig bis nichts. Entsprechend wünschen sich laut einer Umfrage des eco Verbands der Internetwirtschaft und des Meinungsforschungsinstituts YouGov 48 Prozent der Deutschen ein Ministerium für netzpolitische Fragen. Nur 19 Prozent möchten, dass die Kompetenz weiterhin bei unterschiedlichen Ministerien liegt. Die Idee eines Digitalministeriums klingt auf den ersten Blick sinnvoll: Ein Bundesminister bündelt alle digitalen Themen, positioniert sie am Kabinettstisch und vermittelt zwischen den anderen Ressorts. Eine vermeintlich einfache Lösung, mit der Parteipolitiker und Experten hoffen, der bislang eher schleppend vorangehenden Umsetzung der “Digitalen Agenda”  den entscheidenden Antrieb geben zu können.

Expertenwissen statt Politzirkus

Und dennoch: So lange die Kompetenzbereiche eines möglichen Digitalministeriums nicht definiert sind, droht die Idee zur Symbolpolitik zu verkommen, die es gerade in diesem Fall nicht braucht. Gerade weil keines der anderen Ressorts seine Rolle beim Thema Digitalisierung aufgeben möchte, wird auch ein Digitalminister machtlos sein und im Kompetenzgerangel untergehen. Stattdessen braucht es beim Thema Digitalisierung Experten, die nicht nur im Politzirkus unterwegs sind, sondern auch andere Perspektiven kennen: die Herausforderungen der Unternehmen, die Wünsche der Bürger, die technologischen Möglichkeiten.

Die Lösung hierfür kann eine Digitalisierungsagentur sein, die – ähnlich wie die Bundesagentur für Arbeit – zwar eine Bundesbehörde ist, aber unabhängig agiert. Sie betrachtet aus der Außenperspektive, berät Regierung, Ausschüsse, Behörden und Verwaltungen und koordiniert ein Netzwerk aus Fachleuten. Ihr größter Vorteil: Sie gehört eben nicht direkt zum Politikbetrieb. Denn auch für die Politik gilt, was sich aus etventure-Erfahrung in Unternehmen erfolgreich bewährt hat: Innovationen lassen sich, gerade wenn sie radikal neu sind, am besten im „geschützten Raum“ entwickeln, in einer Digitaleinheit oder einem Digital Lab. Mit agilen und modernen Innovationsmethoden werden hier kreative und mutige Ideen entwickelt und erste Pilotprojekte umgesetzt. Was im Kleinen funktioniert, kann im nächsten Schritt aufs Große übertragen werden – auf eine Verwaltung, eine Behörde, ein Staatsorgan, ein ganzes Land.

Neuen Herausforderungen mit Pioniergeist begegnen

Keine Frage – die Umsetzung und Gestaltung der digitalen Transformation spielt für die Zukunft Deutschlands eine entscheidende Rolle und muss deshalb innerhalb der Bundesregierung Chefsache sein. Dennoch macht es institutionell keinen Sinn, dafür ein Ministerium zu schaffen, da es im Grunde alle Ressorts betrifft – von Wirtschaft über Justiz, Sicherheit und Bildung bis hin zu Gesundheit oder Verkehr. Deshalb sollten alle 14 Ministerien eine digitale Agenda innerhalb ihres Bereichs vorantreiben und mit Hilfe der unabhängigen Agentur lösungsorientiert umsetzen. In Ländern wie Großbritannien, Dänemark und den USA wurde dieser Schritt bereits vor Jahren sehr erfolgreich gewagt. Wenn Deutschland hier mithalten möchte, braucht auch die Politik den Mut, institutionell neue Wege zu gehen. Die kommenden vier Jahre werden zeigen, ob es das Land vom digitalen Mittelmaß zum Spitzenreiter schafft.

 


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Autor

Zunächst als Berater, dann als CEO eines mittelständischen Unternehmens mit 250 Mitarbeitern und heute als Gründer und Geschäftsführer von etventure beschäftigt sich Philipp Depiereux mit Innovationsprojekten. Gemeinsam mit seinen Partnern gründete er 2010 Digitalberatung und company builder etventure, um seine Erfahrungen als Unternehmer und Innovationstreiber im Mittelstand, in der Konzernwelt, in Startups sowie in Digitalprojekten im Silicon Valley in einem Unternehmen zu vereinen. Der Gründer und Geschäftsführer gilt als Messias der Digitalisierung im deutschen Mittelstand und wurde vergangenen Jahres als eine der LinkedIn Top Voices 2019 ausgezeichnet. In seinen Vorträgen zu den Themen Digitale Transformation und Innovation sorgt er für Aufbruchstimmung, motiviert Unternehmen und erklärt praxisnah, wie die Digitalisierung gelingt. Darüber hinaus ist Philipp Depiereux Initiator und Moderator des gemeinnützigen Video- und Podcastformats “ChangeRider”, das positive Geschichten und Erfolge rund um Innovation, Disruption und den digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft erzählt.

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