Folge #21 beim ChangeRider, meinem „Talk im Tesla“ mit Gestaltern der Zukunft aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Auf dieser Fahrt begleitet mich Cem Özdemir, Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Bundesvorsitzender des Bündnis 90/Die Grünen. Er berichtet über die deutsche Automobilindustrie, das Drama des begabten Kindes, Werte in der Gesellschaft und wieso er selbst auch einmal pro Jahr ein Praktikum macht.
Cem Özdemir im ChangeRider:
“Das ist das Drama des begabten Kindes!”
“Aber wenn ich drohe wehleidig zu werden, sagen meine Mitarbeiter mir immer: Augen auf bei der Berufswahl”, scherzt der Politiker Cem Özdemir auf seiner Fahrt. Doch müde wird der Politiker von seiner Arbeit noch lange nicht. Man eher das Gefühl, er blüht in seiner neuen politischen Freiheit auf. Sein Werdegang ist zweifelsohne geprägt von einem starken Wertekanon. Seine Eltern kamen als Gastarbeiter nach Deutschland – sein politisches Hauptthema fand der gebürtige Schwabe somit in seiner eigenen Biografie: Migranten in Deutschland. Daneben hat Özdemir aber schon früh sein Interesse für Ökologie und Nachhaltigkeit entdeckt und trat 1981 in die Partei Die Grünen ein. 10 Jahre, bis 2018, war er deren Bundesvorsitzende, ist heute Abgeordneter im Deutschen Bundestag und Leiter des Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. “Das ich als Grüner mal ein flammendes Plädoyer für das deutsche Auto halte, hätte ich mir früher auch nicht träumen lassen.” Aber dazu später mehr.
“Die Umsetzung der Erkenntnis lässt ewig auf sich warten!”
Neben seinem Kampf für eine soziale Gesellschaft, hält Cem Özdemir auch für die deutsche Automobilindustrie regelmäßig seine Brandreden. Doch warum gewinnt man zuweilen den Eindruck, die Deutschen verschlafen die neuen Trends? “In Deutschland gibt es nicht das Problem, dass jemand gegen Vernunft ist. Es sagt ja niemand, ich bin für Kupferkabel statt Glasfaser. Oder ich bin für die Diesellok statt der elektrifizierten Eisenbahn. Aber es kommt einfach nicht. Stattdessen wird immer noch Kupferkabel verlegt und man macht Vectoring, wie bei der Telekom. Niemand ist gegen emissionsfreie Mobilität. Aber es kommt nicht vom Fleck. Wir haben ein Anwendungsproblem, kein Erkenntnisproblem! Die Umsetzung der Erkenntnis lässt ewig auf sich warten.” Die Gründe dafür sieht Özdemir vor allem in der vom Erfolg verwöhnten Industrie. “Es ist das Drama des begabten Kindes, desjenigen das als erstes auf den Märkten war, dem es gut geht und welches dann satt und selbstgefällig wird und denkt: Das bleibt auch so.” Dabei führt er das Beispiel Automobilindustrie an, die aus ihrer 120-jährigen Erfolgsgeschichte ableiten würde, auch in 150 Jahren noch die Beste zu sein und dabei verkennt, dass sich die Rahmenbedingungen verändert haben. “Dass es mittlerweile Klimawandel gibt; dass wir runter müssen von den Emissionen; dass die Chinesen mit Milliardensummen in eine neue Technik investieren, weil sie sagen, Verbrennungsmotor schenken wir den Deutschen, wir steigen ins Morgen ein. Wir machen die Batterien, die die Deutschen nicht bauen können. Das sind viele Veränderungen, die wir komplett verschlafen haben und das kommt von dieser bräsigen Haltung und dieser Arroganz: ‘Wir sind gut! Wir waren gestern erfolgreich, deshalb wird es morgen auch so sein’.” Das sei keine gute Haltung, insbesondere wenn man abhängig vom Export ist. 70 Prozent der Autos, die wir hierzulande bauen, gingen in den Export. Jedes dritte Auto gehe nach China.
Und wie steht es mit Scheitermomenten in seinem Leben? Die sieht der Abgeordnete gelassen: „Ich könnte Bücher mit Scheitergeschichten füllen. Ich wollte immer ein toller Fußballer werden und flog in der E-Jugend nach der ersten Stunde raus. Ich wollte immer ein Instrument spielen und war ein fauler Sack.“ Was jedoch erst kürzlich wirklich an ihm kratzte, war das politische Scheitern der Jamaika-Koalition: „Ich habe das aber nicht verbockt. Das hat einer verlindnert. Wenn ich sehe, wie die große Koalition da rumstolpert, hätte ich mir natürlich gewünscht, dass es eine bessere Alternative für dieses Land gibt. Ich verstehe nicht, dass man vor der Verantwortung weg läuft.”
Doch was hilft bei all den Herausforderungen, die noch anstehen? “Mit Mut die Sachen anpacken! Es nützt ja nichts, wenn man verzagt ist und Pessimismus verbreitet. Das Schlechtreden überlassen wir den Fanatikern. Ich habe zwei Kinder und wenn man Kinder in die Welt setzt, macht man das ja, weil man glaubt, dass Dinge veränderbar sind. Und das sind sie!”
Für eine weitere Fahrt im Changerider nominiert der Politiker seinen Parteikollegen, Danyal Bayaz, der neben seinem Einsatz für die Digitalisierung vor allem einen guten Blick auf Wirtschaft und Politik mitbringt.
Ihr kennt ebenfalls Querdenker, Gamechanger und unermüdliche Optimisten, die für den digitalen Wandel einstehen? Nominiert sie als Changerider-Mitfahrer! Diese und alle weiteren Folgen, sind als Video oder ausführliche Gespräche im Podcast bei iTunes, Soundcloud und Spotify verfügbar.