“Survival of the fittest”: Darwins Evolutionstheorie lässt sich auch auf die Digitalisierung der Unternehmen übertragen. Den Kampf ums Überleben gewinnen die Individuen, die sich am besten an ihre Umwelt anpassen. Sprich, das Unternehmen, das schnell auf technologische Veränderungen reagiert und sein bestehendes Geschäftsmodell an Kundenerwartungen anpasst – oder ganz neue, disruptive Geschäftsmodelle entwickelt. In einer neuen Blog-Serie stellen wir die erfolgreichsten digitalen Geschäftsmodelle vor und informieren über die neuesten Trends und Best Practices. Das Thema der ersten Folge: E-Commerce.
Die Bedeutung von Anpassungsfähigkeit hat Jeff Bezos, Gründer und CEO von Amazon, schon vor Jahren erkannt: “What we need to do is always lean into the future; when the world changes around you and when it changes against you – what used to be a tail wind is now a head wind – you have to lean into that and figure out what to do because complaining isn’t a strategy.” – es geht also kurz gesagt darum, sich dem Wandel anzupassen und zukunftsorientiert zu handeln. Was vor über 20 Jahren als kleiner Online-Buchhandel anfing, hat sich zu einem der bekanntesten internationalen Online-Versandhändler entwickelt. Von einigen deutschen Unternehmen ist überliefert, dass sie überzeugt waren, mit dem Versand mit Büchern lasse sich kein Geschäft machen, wenn man keine Versandkosten berechnet. Und wenn doch, würde man Amazon einfach kaufen. Es kam bekanntlich anders. Im vergangenen Jahr erreichte Amazon nach eigenen Angaben 277 Milliarden Dollar Handelsumsatz – bestehend aus dem weltweiten Marktplatzumsatz von 160 Milliarden Dollar und dem eigenen Online-Handelsumsatz von 117 Milliarden Dollar. Amazon ist damit ein Erfolgsbeispiel für das wohl bekannteste digitale Geschäftsmodell, dem E-Commerce-Modell.
E-Commerce – oft auch als Onlinehandel bezeichnet – meint das Werben, Kaufen und Verkaufen von Waren und Dienstleistungen im Internet. Wenn von E-Commerce die Rede ist, denken viele oft an das klassische Endkundengeschäft von Versandhändlern wie Amazon, Otto oder Zalando (B2C). Nicht zu vergessen sind aber auch die Marketplaces, die nicht nur Unternehmen, sondern auch Privatkunden eine Plattform für den Kauf und Verkauf bieten (C2C). Bekannte Beispiele für den C2C-Onlinehandel sind Plattformen wie eBay oder etsy. Und schließlich die Onlineshops, die ihre Produkte ausschließlich für Gewerbetreibende anbieten (B2B).
Die Vision vom „Marktplatz der Chemiebranche“
Doch wie gelingt die erfolgreiche Umsetzung eines Marketplaces? Der Werkstoffhersteller Covestro hatte ebenfalls die Vision seine B2B-Plattform zum „Marktplatz der Chemiebranche“ auszubauen. Bis vor wenigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen – da wurden die meisten Bestellvorgänge noch zwischen Außendienstmitarbeitern und Kunden per Telefon, Mail oder Fax abgewickelt. Als einer der weltweit führenden Anbieter hochwertiger Polymerwerkstoffe wollte Covestro daher ursprünglich eine digitale Plattform konstruieren, über die sich gelegentlich anfallende Überschussmengen verkaufen lassen. Mit der Unterstützung von etventure sollte dieses Vorhaben umgesetzt werden. Bereits zwei Monate nach dem Entwicklungsstart im Januar 2017 war ein funktionsfähiger Plattform-Rohbau fertig, über den die Kunden von Covestro online Material bestellen konnten. Wie das möglich war? “Wir lassen die Kernorganisation erst mal in Ruhe und gehen mit einer Handvoll Leute auf die grüne Wiese, lernen ein paar Kunden und ihre Schmerzpunkte kennen und entwickeln daraus Ideen, die wir dann innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen mit einem ersten Prototyp testen.”, wird etventure-Gründer Philipp Depiereux von brand eins zitiert. Auf gar keinen Fall darf man die Kernorganisation aufwühlen, wo alle in Panik geraten, wenn sie das Wort Disruption hören. etventure führte in China und Taiwain Interviews mit einigen Kunden von Covestro – und erfuhr, wie deren Business funktioniert, wo ihre Schmerzpunkte liegen und wie man ihnen das Leben leichter machen könnte. Mittlerweile hat das Tool den experimentellen Status verlassen und Covestro stellt immer mehr Geschäftsfelder und Regionen auf die digitale Plattform um. Es wird sogar mit der Idee gespielt, auf der Plattform auch die Produkte anderer Hersteller anzubieten und diese somit zum “Marktplatz der Chemiebranche” weiterzuentwickeln. Bis Ende 2019 sollen über den digitalen Kanal Werkstoffe für bis zu einer Milliarde Euro umgesetzt werden.
„Setze den Kunden an die erste Stelle. Erfinde. Und sei geduldig.“
Laut dem Handelsverband Deutschland (HDE) wuchs der deutsche Onlinehandel im vergangenen Jahr auf ein Volumen von 53,4 Milliarden Euro. Damit stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent. Der E-Commerce ist weiterhin ein Wachstumsmarkt, der kontinuierlichen Veränderungen durch digitale Innovationen unterliegt. Ob Künstliche Intelligenz, Machine Learning oder Virtual Reality – der Einsatz von Technologien hat dabei immer ein übergeordnetes Ziel: maximale Kundenzufriedenheit erreichen. Oder wie Jeff Bezos es ausdrückt: “We see our customers as invited guests to a party, and we are the hosts. It’s our job every day to make every important aspect of the customer experience a little bit better.” Doch wie kann es gelingen, den Kunden in den Mittelpunkt zu rücken?
It’s all About the Customer Experience! Vier Digitaltrends:
1) Personalisierung – und wie Machine Learning, Chatbots und virtuelle Modeberater dazu beitragen
Personalisierung im Handel bedeutet, jedem Kunden das perfekte Angebot, zum idealen Zeitpunkt und über den richtigen Kanal anzubieten – doch dafür müssen Händler erst einmal verstehen, was der Kunde überhaupt braucht. An dieser Stelle kommt Machine Learning, ein Bestandteil von Künstlicher Intelligenz, zum Einsatz. Mithilfe lernfähiger Algorithmen werden die Verhaltens- und Transaktionsdaten der Kunden kontinuierlich erfasst und analysiert. Dies ermöglicht es dem Händler, jedem Kunden in Echtzeit personalisierte Produkte und Angebote zu empfehlen – sowohl direkt im Onlineshop, als auch über Pop-ups, Social Media oder E-Mails. Der Vorteil: die Zielgruppen lassen sich effizient erschließen und das Targeting wird zunehmend effektiver.
Um die Customer Experience weiter zu optimieren, werden außerdem Chatbots eingesetzt. Diese können verschiedene Kundendienstanforderungen erfüllen, zum Beispiel Fragen zu einem Produkt beantworten oder eine Beschwerde besprechen. Mithilfe von KI lernen Chatbots aus diesen Kundengesprächen und entwickeln sich weiter, sodass die Einkaufserfahrung des Kunden stetig verbessert werden kann. Mittlerweile lassen sich sogar “emotionale” Daten erzeugen, welche man nutzen kann, um die Customer Experience besser zu verstehen.
Die Zukunft? Beispielsweise virtuelle Modeberater: Amazons “Echo Look”, eine smarte, mit der digitalen Assistentin Alexa ausgestattete Kamera analysiert mittels Algorithmen das Outfit des Benutzers und gibt auf dieser Grundlage Modetipps. KI-Analyse-Tools werden zukünftig aber auch die Fähigkeit besitzen, zu verfolgen, wie potenzielle Kunden mit Produktbildern interagieren. Mit den Erkenntnissen, die hierbei gewonnen werden, können Händler die Produktvisualisierung verbessern, beliebte Farbkombinationen wählen und Bestseller an die Spitze setzen.
2) Mit einem Produkt interagieren
Bei der Kaufentscheidung ist die Präsentation des Produktes ein entscheidender Faktor. Kunden möchten mit einem Produkt interagieren – es sehen, fühlen, in den Händen halten – bevor sie sich schließlich dazu entscheiden es zu kaufen. Neben den gewöhnlichen Produktfotos sollen Kunden aber auch einen authentisches Kauferlebnis erhalten: Mit Demo-Videos, beispielsweise von elektronischen Geräten, oder 360-Grad-Videos kann die Kaufentscheidung des Kunden positiv beeinflusst werden. Jedoch ermöglicht die heutige Technologie weitaus mehr als das: Durch die Nutzung von Virtual Reality, 3D-Imaging oder Augmented Reality können Kunden mit einem Produkt ganz einfach interagieren. Dies erhöht zum einen das Kunden-Engagement und verbessert die Conversion-Rate. Zum anderen wird das Retourenrisiko verringert, da der Kunde eine realistische Vorstellung von dem Produkt erhält.
Der Sportartikelhersteller Converse bietet seinen Kunden beispielsweise die Möglichkeit, ihre Schuhe online anzupassen. Der Kunde kann hier durch Drehen, Umdrehen und Vergrößern des Schuhs ein eigenes Design erstellen. Die Interaktivität dieses Prozesses erhöht dabei das Vertrauen des Kunden, dass er einen Schuh erhält, der seinen genauen Vorstellungen entspricht.
3) Symbiose von Online- und Offline-Stores
Interaktive Produktvisualisierung, Chatbots oder Personalisierung können zwar das Online-Einkaufserlebnis bereichern, jedoch möchten die meisten Verbraucher nicht auf das physische In-Store-Erlebnis verzichten. Daher liegt die Zukunft des stationären Handels in der Digitalisierung. Es gibt immer mehr Möglichkeiten, eine Symbiose zwischen Online- und Offline-Kanälen herzustellen und so ein kanalübergreifendes Einkaufserlebnis zu schaffen. Internationale Online-Versandhändler wie Amazon oder Alibaba weiten daher ihr Geschäft bereits auf die Offline-Welt aus.
So eröffnete Amazon in New York einen Laden, in dem nur Produkte angeboten werden, die von Kunden im Online-Shop mit mindestens vier Sternen bewertet wurden. Entsprechend heißt das Store “Amazon 4-Star”. Die Bewertung ist jedoch nicht das einzige Kriterium: Das physische Geschäft orientiert sich an der Struktur des Online-Shops und verfügt über Rubriken wie “Trending Around NYC”, “Frequently Bought Together” oder “Amazon Exclusives”. Auch der chinesische Online-Riese Alibaba experimentiert in Hongkong mit dem neuen Ladenkonzept “FashionAI” Store, in dem Künstliche Intelligenz eingesetzt wird. Dort fungieren “Smart Mirrors” als virtuelle, selbstlernende Modeberater, die den Kunden Produktinformationen und Stylingtipps zur Verfügung stellen.
4) Von “Mobile First” zu “Mobile Only”
„Mobile Friendliness“ bestimmt aus Kundensicht mehr und mehr den Unternehmenserfolg. Der größte Teil der Internetnutzung findet mittlerweile über mobile Geräte wie Smartphones oder Tablets statt. Anstelle von „Mobile First“ gilt daher nun das Erfolgskriterium “Mobile Only“. Ist der Onlineshop noch nicht mobil optimiert, wird er sowohl von den Kunden als auch von den Suchmaschinen benachteiligt. Im vergangenen Jahr fanden schon fast die Hälfte aller E-Commerce-Sales in Deutschland mobil statt. Eine gut funktionierende, schnelle und verkaufsorientierte App ist daher ausschlaggebend für ein weiteres Umsatzwachstum.
Eine Alternative zu nativen Apps sind Progressive Web Apps – kurz PWAs. Diese verwischen die Grenzen zwischen nativen Apps und Web-Anwendungen, da sie wie eine herkömmliche Webseite einfach im Browser laufen. Sie bieten einige Funktionalitäten, die bis dahin nativen Apps vorenthalten waren. Zum Beispiel können PWAs lokal gespeichert und deshalb schneller oder auch offline genutzt werden. Gleichzeitig ersparen sie dem Nutzer den oft datenintensiven Download einer nativen App und nehmen wenig Speicherplatz in Anspruch. Das macht sie ideal für Gelegenheitsnutzer einer Marke oder einer Dienstleistung.
Obwohl der Trend eindeutig in Richtung “Mobile Only” geht, gibt es im B2B-Bereich immer noch viele Desktop-Nutzer, sodass sich PWAs bestens eignen, um beide Gruppen zu bedienen. Darüber hinaus bieten PWAs gerade dem Mittelstand viele Vorteile: So ist die Entwicklung von PWAs einfacher und kostengünstiger als bei nativen Apps. Sie sind unabhängig von Betriebssystemen und Gerätetypen und zudem über Suchmaschinen auffindbar, sodass sie besser gestreut und beworben werden können. Der chinesische Online-Gigant Alibaba hat für seine Online-Einzelhandelsplattform AliExpress – sehr früh- bereits vor wenigen Jahren eine PWA implementiert. Trotz des eingeschränkten Funktionsumfangs konnte AliExpress seine Conversion-Rate um 104 Prozent steigern und erhöhte die Verweildauer der Kunden um 74 Prozent.
Ob AI-Stores, Augmented Reality oder andere Digitaltrends: Welche der Trends für das eigene Unternehmen relevant und geeignet sind, ist natürlich von verschiedenen Faktoren abhängig. Um den “Überlebenskampf” nach Darwins Evolutionstheorie schließlich zu gewinnen, ist für Unternehmen vor allem aber eines wichtig: “Setze den Kunden an die erste Stelle.”