Im Interview mit Philipp Depiereux spricht Dirk Müller von Schacht One über die Digitale Transformation als Unternehmensziel, die ersten Schritte seines Unternehmens und weitere zentrale Ergebnisse der etventure-Studie 2019.
Das Meinungsforschungsinstitut GfK hat für die etventure-Studie bereits zum vierten Mal eine telefonische Befragung unter 2.000 Großunternehmen in Deutschland ab 250 Millionen Euro Umsatz repräsentativ durchgeführt, um sie zum Stand ihrer Digitalaktivitäten zu befragen. Mit den Ergebnissen sind wir wiederum auf unterschiedliche Menschen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zugegangen und haben sie um Ihre Einschätzung gebeten – darunter Digitalministerin Dorothee Bär, Gisbert Rühl, CEO des Stahlhändlers Klöckner oder Zukunftsforscher Tristan Horx vom renommierten Zukunftsinstitut. Herausgekommen sind spannende Interviews, die auch Inspiration geben, den digitalen Wandel mutig anzugehen.
Heute: Dirk Müller, Geschäftsführer der Digitaleinheit Schacht One GmbH und CIO bei Haniel.
Lieber Dirk, die aktuelle etventure Studie hat ergeben, dass erstmals seit 2016 die strategische Bedeutung der Digitalen Transformation in Bezug auf die drei wichtigsten Unternehmensziele sinkt. An welche Stelle gehört die Digitale Transformation aus deiner Sicht?
So ganz pauschal würde ich das nicht beantworten, denn es hängt natürlich von den Unternehmenszielen ab, die sich bitte schön aus der Unternehmensstrategie ableiten sollten. Digitale Transformation gehört somit auf jede Agenda, der Grad der Transformation ist aber abhängig von der jeweiligen Strategie. Schau ich mir die Unternehmenslandschaft in Deutschland an, würde ich sagen bei den Konzernen eher Top 10, bei KMU eher Top 3.
Wie hat dein Unternehmen die ersten Schritte angegangen und wie steht ihr heute da?
Ziemlich gut würde ich sagen. Nach einer Awarenessphase in 2015 haben wir 2016 (mit etventure) Schacht One aus der Taufe gehoben und sehr partizipativ mit den Haniel Geschäftsbereichen an über 50 innovativen Projekten und vielen Geschäftsideen gearbeitet. Heute ist ein großer Teil der Entscheider in den Unternehmensbereichen in der Lage, innovative Methoden mit den zum Teil neu hinzugekommenen internen Mitarbeitern selbst anzuwenden. In großen Teilen haben wir also unsere Mission erfüllt.
Wie bewertest du die “Anstrengungen” der Wirtschaft generell in Bezug auf die Digitale Transformation und wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?
Die Erkenntnis was tun zu müssen ist glaube ich flächendeckend vorhanden. Die Anstrengungen sind auch zu erkennen – die Frage, die man stellen sollte: Welchen Impact haben diese Anstrengungen – macht man also aus unternehmensstrategischer Sicht die richtigen Dinge? Ein aus meiner Sicht häufig vernachlässigter Punkt – in Teilen auch ein Problem bei Haniel.
Wir haben die Unternehmen gefragt, welches die größten Hürden sind. Die wichtigsten Herausforderungen waren „fehlende qualifizierte Mitarbeiter mit Digital-Know-how“, „fehlende Zeit“ und „die Erfahrung zur digitalen Umsetzung von Produkten und Prozessen fehlt.“ Was empfiehlst du diesen Unternehmen, die sich hier wiederfinden?
Sehe ich ähnlich wobei ich die Reihenfolge umdrehen würde. Wenn ich mit einer klar erkennbaren Strategie im richtigen Setup an auch von außen klar erkennbaren digitalen Fragestellungen arbeite – mit ambitionierten Zielen – dann klappt es auch mit dem Personal.
…aber auch dich persönlich gefragt, wo siehst du die größten Hürden bei den Unternehmen in Bezug auf die Digitalisierung?
Zusätzlich zu den genannten ist für mich die aller größte Hürde die häufig nicht vorhandene Struktur und Transparenz. Welche Themen/Projekte zahlen wie auf welche Unternehmensziele ein? Das kann man recht pragmatisch und visibel ableiten. Klingt nicht so spannend – aber mittlerweile würde ich sagen: Ohne diese Struktur wird es sehr schwer. Weiterhin glaube ich nicht mehr daran, dass Unternehmen innerhalb der eigenen Organisation Company Building mit aller Konsequenz betreiben können. Das haben wir ab und an leider selbst erleben müssen. Da bedarf es anderer smarterer Modelle, bei denen schon früh eine Shared Ownership angestrebt wird.
Wie bewertest du die Tatsache, dass die befragten Unternehmen sich stärker noch als im Vorjahr auf die Digitalisierung analoger Prozesse oder schon vorhandener Geschäftsmodelle konzentrieren und lediglich ein Fünftel auf die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsfelder?
Für mich zunächst mal total verständlich. Der Schuh drückt halt „spürbar“ woanders und das Wort „neu“ habe ich aus meinem Vokabular gestrichen. Ich denke es ist sinnvoll im Rahmen einer strukturierten Ableitung sich neue Geschäftspotentiale zu erschließen – aber bitte auf Basis der eigenen Fähigkeiten. Wir nutzen für die Ableitung die Opportunity Space Methode – das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine Idee auch später wirkliche Traktion bekommen kann und nicht wegen eines Fähigkeiten- und/oder Strategy-Misfits nachher nicht skaliert wird.
Wie bewertest du die Tatsache, dass knapp jedes zweite Unternehmen glaubt, das Umsatz-Niveau von heute auch ohne jegliche Digitalisierungsmaßnahme in den nächsten drei Jahren halten zu können?
Mutig. Auch hier glaube ich das eine strukturierte Ableitung des Status Quo und des Ambitionslevels für den Digitalisierungsgrad im Core nötig ist. Sonst ist das halt nur Bauchgefühl.
Nur 21 Prozent sehen in Tech-Konzernen wie Google oder Amazon ihre stärkste Wettbewerbsbedrohung. Ist es nicht “fahrlässig”, wenn Unternehmen nur ihre direkten Wettbewerber als Gefahr wahrnehmen?
Wieder mutig. Generell ist das eine unternehmensstrategische Einschätzung und hat für mich nicht nur etwas mit Digitalisierung zu tun. Auch hier würde ich strukturiert vorgehen und den Bedrohungsgrad methodisch ableiten.
Wie schafft man es als Unternehmen, die richtigen Leute für sich zu gewinnen?
Authentisch bleiben und sich nicht verstellen. Das spricht sich sonst schnell rum. Der mittelständische Maschinenbauer hat in der Regel nicht die Unternehmenskultur eines Digitalunternehmens. Am besten sollten ein paar nach außen sichtbare Leuchttürme geschaffen werden.
Wie gelingt eine nachhaltige Qualifizierung der eigenen Mitarbeiter für die Digitale Transformation?
Vielleicht unserem Beispiel bei Haniel folgen, zum Beispiel durch Partizipation in innovativen Projekten, also durch Training on the Job/Method. Nur so wird die praktische Relevanz deutlich und die intrinsische Motivation steigt. Weiterhin ist für mich eine moderne Leadership-Kultur ein Muss. Die Dinge müssen Top-Down vorgelebt werden. Schnelle Entscheidungen und Fehlerkultur zu predigen aber dann nicht konkludent zu handeln ist mehr als kontraproduktiv.
Technologien wie Big Data/Smart Data (72%), Plattform Ökonomie (62%) und KI (57%) werden aus Unternehmenssicht in den nächsten drei Jahren den größten Einfluss auf das jeweilige Geschäftsmodell haben, allerdings glaubt nur eine Minderheit, dass Deutschland bei den jeweiligen Themen auch eine Spitzenposition einnehmen wird – im Gegenteil. Zu recht? Beeinträchtigt das nicht signifikant die Zukunftsfähigkeit der deutschen Unternehmen?
Das sind für mich teilweise eher Trends als reine Technologien. Entscheidend ist doch die Anwendung einer Technologie. Schaue ich auf Deutschland, dann glaube ich schon, dass wir auf Grundlage der immer noch hervorragenden Bildung genug Kompetenzen vorzuweisen haben, diese Technologien gewinnbringend einzusetzen – auch wenn wir nicht vorne in der B2C-Plattform-Ökonomie oder bei den Core-Technologie-Lieferanten sind.
Wie kann man gegebenenfalls gegensteuern?
Auf alle Fälle die Vermittlung digitaler Kompetenzen für alle Bildungsschichten und schon in der Schulzeit massiv ausbauen. Dazu gehört auch die deutlich umfangreichere Unterstützung des Gründertums.
Wie siehst du die digitale Zukunft der deutschen Wirtschaft? Wie sieht Deutschland 2030 aus?
Nicht so schwarz wie manch anderer. Wenn wir es schaffen unsere Ingenieurstugenden mit einem entrepreneurial Spirit zu verknüpfen – vor allem im B2B Sektor – dann wird das was. Toll finde ich, dass viele Unternehmen erkannt haben, dass sie in Partnerschaften mit anderen Unternehmen agieren sollten. Denn in der heutigen exponentiellen Welt kann ich nicht mehr alles alleine machen. Die Gründung des Digital Campus Zollverein ist ein aus meiner Sicht sehr gelungenes Beispiel dafür.
Neben Dirk Müller haben sich unter anderem Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung, und Gisbert Rühl, CEO des Stahlhändlers Klöckner & Co, zu den Ergebnissen der etventure Studie 2019 geäußert. Die kompletten Interviews können Sie in der Studie nachlesen.