Macht die Digitalisierung jedes Unternehmen zum Softwareanbieter? – „Spotlight Digital Transformation“ #8
04. Januar 2018
Muss im digitalen Zeitalter jedes Unternehmen zum Softwareanbieter werden? Diese Frage diskutieren etventure-Gründer und Geschäftsführer Philipp Herrmann und Prof. Dr. Julian Kawohl, Experte für Digital Management und Corporate Entrepreneurship, im achten Teil der Serie “Spotlight Digital Transformation”.
“Wenn du letzte Nacht als Industrieunternehmen zu Bett gingst, wirst du heute Morgen als Software- und Analytikunternehmen aufwachen.” Das prophezeite bereits vor einigen Jahren Jeff Immelt, langjähriger CEO des US-Konzerns General Electric (GE). Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation, so Immelt, würden auch traditionelle Industrieunternehmen ihr Geschäft immer mehr in Richtung Informationstechnologie verlagern – ob sie wollten oder nicht. Dementsprechend sollte GE unter seiner Führung vom Industrie-, Maschinenbau- und Energiekonzern zu einem der zehn größten Softwareunternehmen der Welt werden. Seine Strategie ist nicht unumstritten, die Bilanz der “Ära Immelt” fällt eher nüchtern aus.
Müssen alle Unternehmen zum Softwareunternehmen werden?
Dennoch hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Digitalisierung nur diejenigen Unternehmen überleben werden, die ihr eigentliches Geschäftsmodell zugunsten eines Software-orientierten aufgeben. Tatsächlich wird die Liste der zehn teuersten Unternehmen der Welt von Technologiekonzernen angeführt. Gemessen an der Marktkapitalisierung liegen Apple, Alphabet, Microsoft, Amazon und Facebook auf den vorderen Rängen, sieben der Top-10-Konzerne sind Unternehmen mit digitalem Geschäftsmodell. Das teuerste deutsche Unternehmen belegt Rang 62 – der Softwareanbieter SAP. Es scheint, als könnten schon heute nur diejenigen wirklich erfolgreich sein, die ihr Kerngeschäft auf Internet und Technologie stützen. Haben “traditionelle” Industrien überhaupt noch eine Chance?
Sicherlich, ohne Software keine Digitalisierung. Technologische Innovationen wie Cloud Computing, Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge sind die Grundlage dafür, dass die digitale Transformation überhaupt entstehen konnte. Doch auch wenn Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle heute sehr viel abhängiger vom Software-Business sind, müssen sie deshalb noch lange nicht zum klassischen Softwareanbieter werden. Sie können aber viel von der Softwarebranche lernen.
Von der Technologiebranche lernen
Agiles Arbeiten etwa ist in der Softwareentwicklung bereits seit Jahren gängige Praxis. Der in anderen, traditionelleren Branchen vorherrschende ingenieursgetriebene Perfektionismus weicht hier dem MVP-Gedanken: Zunächst wird ein Minimum Viable Product mit nur wenigen Basisfunktionalitäten entwickelt, getestet und dann anhand von Erfahrungswerten kontinuierlich verbessert. Iterative Prozesse helfen dabei, das Feedback der Nutzer direkt in den weiteren Entwicklungsprozess mit einfließen zu lassen und das Produkt an veränderte Anforderungen anzupassen. Damit reagieren Unternehmen direkt auf die sich ständig ändernden Kunden- und Marktanforderungen und stellen nur diejenigen Produkte und Services zur Verfügung, die für ihre Zielgruppe auch tatsächlich von Nutzen sind.
Auch die Unternehmenskultur ist gerade in Unternehmen wie Apple, Google oder Facebook ein wichtiger Erfolgsfaktor. Flache Hierarchien, schnelle Entscheidungswege und flexible Arbeitsmodelle sind Teil eines dynamischen Startup-Mindsets, von dem auch konservative, etablierte Unternehmen durchaus profitieren können. Softwareunternehmen haben meist eine Arbeitsatmosphäre, die Innovation fördert und radikal neue Ideen nicht nur entwickelt, sondern auch umsetzt. Das Scheitern wird hier nicht als Niederlage empfunden, sondern als Chance, noch besser zu werden – eine Denkweise, die vor allem in Deutschland noch zu wenig verbreitet ist. Technologiekonzerne wie Apple, Amazon oder SAP sind also nicht nur deshalb erfolgreich, weil ihre Geschäftsmodelle auf Software basieren, sondern weil sie den Kunden in den Fokus all ihrer Geschäftsaktivitäten stellen und gleichzeitig eine Unternehmenskultur schaffen, die Veränderung ermöglicht.
Digitalisierung ≠ IT
Gerade weil viele Unternehmen auf die erfolgreichen Wettbewerber aus dem Silicon Valley oder die disruptiven Tech-Startups schielen, machen sie oft den Fehler, Digitalisierungsprojekte als IT-Projekte zu betrachten. Schnell wird da die Einführung oder Erneuerung eines ERP-Systems oder einer Datenbank bereits als großer Erfolg auf dem Weg zur digitalen Transformation verbucht. Dieser Ansatz greift schlichtweg zu kurz und setzt im schlimmsten Fall sogar an den falschen Stellen an. Denn die Digitalisierung betrifft die gesamte Organisation – von den Prozessen über die Geschäftsmodelle bis hin zur Unternehmenskultur. Sie verlangt radikale Entscheidungen, die nur auf Ebene der Geschäftsführung oder des Vorstands getroffen werden können. Mit Software, IT und Technologie alleine ist es nicht getan – die Chefetagen müssen zum Treiber und Manager der digitalen Transformation werden.
Prof. Dr. Julian Kawohl und Philipp Hermann diskutieren die Frage “Digitalisierung: Muss ich jetzt auch zum Softwareanbieter werden?”.
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