Plattform-Ökonomie: Mit dem richtigen Canvas erfolgreich starten
16. April 2018
Ob Amazon, Airbnb oder der App Store – Plattformen sind in unserem täglichen Leben und auch für unsere Kunden zu einer Selbstverständlichkeit geworden: Mehr als 50 Prozent aller digitalen Geschäftsmodelle sind zweiseitige Plattformen. Unsere Platform Economics Gilde zeigt, wie man mit dem Platform Innovation Kit Plattformen Schritt für Schritt erfolgreich aufbaut und was dabei zu beachten ist.
Business Model Canvas: Ideal für lineare Geschäftsmodelle
Das Business Model Canvas ist ein großartiges Tool, um von (fast) null zu starten, eine Geschäftsidee zu skizzieren und Stück für Stück zu verfeinern. Vor allem Startups nutzen den Ansatz, um schnell herausfinden, ob ihr Geschäftsmodell unternehmerisch sinnvoll ist.
Klassische lineare Geschäftsmodelle, welche beispielsweise den Produktionsprozess eines Herstellers bis zum Verkauf abdecken, bündeln sich in einer zentralen Sicht auf die nötigen Treiber für ein erfolgreiches Geschäftsmodell. So sind beispielsweise Kernaktivitäten, nötige Lieferantenbeziehungen und Ressourcen aus Sicht eines Unternehmens definiert und darauf ausgerichtet, Werte vornehmlich für den Kunden zu erzeugen. Das Business Model Canvas zielt auf diese Geschäftsmodelle ab und hilft, die richtigen Fragen zu stellen und Erkenntnisse zusammenzutragen.
Wann das Business Model Canvas an Grenzen stößt
Mit Canvas Modellen lassen sich komplexe Problemstellungen einfacher und schneller darstellen – ein großer Vorteil, wenn es darum geht, agil und schlank in einen Ideen-Prozess zu starten. Gleichzeitig wird die Realität aber nur bedingt abgebildet. Gerade die Plattform-Ökonomie fordert jedoch durch ihre mehrschichtigen Strukturen neue Modelle, die der gewachsenen Komplexität standhalten müssen.
Um eine Plattform erfolgreich zu etablieren oder auch nur initial mit Leben zu füllen, bedarf es deshalb einer mehrdimensionalen Sichtweise auf die Wertschöpfung und den Mehrwert für die jeweils beteiligten Akteure. Denn eine Plattform lebt von einer attraktiven Ausgestaltung für alle vertretenen Teilnehmer – auf ihr sollen sich Produzenten und Konsumenten regelmäßig austauschen. So gilt es nicht nur die Interessen des Plattformbetreibers zu bedenken, sondern neben denen des Kunden auch die der Produzenten bzw. Leistungsanbieter und vertretenen Partner, die zur Wertschöpfung beitragen.
Das Platform Innovation Kit in der Praxis
Das aus fünf – in der Erweiterung bis zu acht – Canvas bestehende Plattform-Kit wurde eigens für den Einsatz mit Plattformen konzipiert. Es liefert einen strukturierten Zugang für die Erarbeitung einer erfolgreichen Plattform. Die ersten drei Canvas legen dabei die strategische Grundlage für das Plattformdesign.
-
Scan der Unternehmensumwelt
Ziel ist es, den Ist-Zustand anhand von Branchen- und weiteren Trends, Innovationen und (aufstrebenden) Marktkräften zu analysieren. Zu diesem Zeitpunkt unterscheidet sich die Analyse noch nicht vom Pendant, welches auch für lineare Geschäftsmodelle genutzt werden kann.
-
Idea Canvas
Das Idea Canvas dient der Erarbeitung von Ideen für mehrseitige Geschäftsmodelle. Die Eigenschaften der Konsumenten, Produzenten und Partner werden dokumentiert. Darüber hinaus wird skizziert, wie Umsätze erzielt und Werte verteilt werden sollen.
-
Value Proposition Canvas
Dieser Schritt ist zentral für die Erarbeitung einer Plattform und deren Strategie und kann auch als Startpunkt genutzt werden, wenn bereits Ideen für eine Plattform bestehen. Je Quadrant werden die Akteure analysiert – ihre Eigenschaften, das zugrunde liegende Wertversprechen sowie ihre Berührungspunkte mit der Plattform und deren weiteren Teilnehmern. Um spätere Probleme und Ungenauigkeiten bei der Adressierung der Nutzer und Produzenten zu vermeiden, sollten die Zielgruppen durch die Verwendung von Personas geschärft werden.
Im Ergebnis liefert ein ausgefülltes Value Proposition Canvas eine detaillierte Übersicht der Akteure, ihrer Bedürfnisse und ihres Zusammenspiels. Die Basis bilden dabei immer die Werte, die von Seiten der Plattform, aber auch von den Teilnehmern untereinander bereitgestellt werden müssen. Antworten auf Kernfragen für das Plattform-Design wie “Wie vernetze ich meine Teilnehmer”, “Welche Werte müssen welcher Gruppe geliefert werden”, “Welche Vorteile werden dem Plattformbetreiber zuteil” und “Welche Transaktionen finden statt” werden übersichtlich dargestellt.
Den größten Wert liefert, neben der Darstellung der Informationen im Ganzen, die Beantwortung der Frage “Was für eine Plattform sind wir”. Diese wird durch den “Core Value” und die Mission ausgedrückt und erzeugt ein gemeinsames Verständnis über den Charakter der Plattform. Diese Definition stellt einen Ankerpunkt dar, der für die weitere Iteration und den Aufbau der Plattform durch das Team notwendig ist.
Tipps für die Anwendung
In der praktischen Anwendung wird für die Arbeit mit dem Plattform Kit einige Vorarbeit benötigt, um einen flüssigen Ablauf zu ermöglichen. Für die zentrale Value Proposition Canvas sind vorbereitete Personas auf Basis echter Nutzerdaten (z.B. durch qualitative und offene Interviews) und erste zu testende Hypothesen von großer Hilfe. Zusätzlich bietet sich ein “Dry Run” mit einer am Markt etablierten Plattform an. Dieser liefert eine sehr gute Perspektive auf die nötigen Werte, die eine erfolgreiche Plattform für seine Teilnehmer bereitstellen muss.
Für das weitere Vorgehen der Ideenvalidierung bietet sich ein schlanker und agiler Ansatz auf Basis von Lean Startup an. So können Modelle schnell und kostengünstig getestet werden.
Weitere Informationen, Hintergründe und Handlungsempfehlungen erhalten Sie in unserem nächsten Beitrag.
* Pflichtfeld
Matthias 25. April 2019 · 14:51
Hallo,
mittlerweile bietet das PIK auch ein eigenes Canvas zur Modellierung der Netzwerkeffekte und der Frage: Wie kann ich die Netzwerkeffekte stimulieren.
Denn genau darum geht es, sich Gedanken zu machen, wie diese Netzwerkeffekte sinnvoll angekurbelt werden können.
Viele Grüße,
Matthias
Juergen 23. April 2018 · 11:44
schöner Artikel!
Mir fehlt bei dem Platform Innovation Kit aber der Fokus auf die indirekten Netzeffekte, schließlich machen diese den Unterschied auf Plattformmärkten aus. Besonders für die Preissetzung ist es ja entscheidend, welche Seite “ausgebeutet” und welche “subventioniert” wird. Ist das Thema bei dem Kit? Vielleicht habe ich das auch einfach übersehen?
Jürgen
Konrad Schwarz Moderator 24. April 2018 · 15:13
Hallo Jürgen,
vielen Dank für Deinen Kommentar.
Du hast Recht, Netzwerkeffekte – direkte wie auch indirekte – können im aktuellen Stand des Platform-Kit nicht ausreichend aufgezeigt und analysiert werden. Zur Zeit kompensieren wir das durch eine Dokumentation außerhalb des Kits. Das halte ich für sehr empfehlenswert, da Netzwerkeffekte, wie du ja schon richtig gesagt hast, ein wesentlicher Faktor für eine erfolgreiche Plattform sind. An der Stelle außerdem wichtig: Egal wie attraktiv eine Plattform für eine Teilnehmerseite gestaltet wird (z.B. durch eine geschickte Kombination von Netzwerkeffekten), letztlich muss trotzdem ein Gleichgewicht für alle weiteren Teilnehmer gegeben sein. Denn sonst bricht über kurz oder lang eine Seite der Wertschöpfung ein und das Funktionieren der Plattform als Ganzes wird beeinträchtigt.
Viele Grüße
Konrad
Julian von Hassell 18. April 2018 · 22:24
Sorry, but I am not convinced. Die These, dass “gerade die Plattform-Ökonomie jedoch durch ihre mehrschichtigen Strukturen neue Modelle fordert, die der
gewachsenen Komplexität standhalten müssen” suggeriert, dass der Ursprungs-Canvas dieser Komplexität nicht standhält. Das halte ich für eine steile These, da gerade der Ursprungs-Canvas so generisch angelegt ist, dass jede Komplexität a priori berücksichtigt ist, wenn man denn bereit ist, diese richtig auf dem Canvas zu lokalisieren. Es ist ein Fehler (als Berater) zu versuchen, die Denkaktivität der Mandaten durch gebahnte Denkmuster allzu sehr zu limitieren, indem man ihnen z.B.spezifischere Canvas-Modelle an die Hand gibt.
Man kann die Welt sowieso nie 1:1 abbilden!!
Warum ist es ein Fehler? Weil die Mandanten so zu Aufziehfiguren werden. Als Aufziehfiguren sind sie nicht mehr in der Lage, neue Muster zu erkennen, geschweige denn zu adaptieren und in diesen Modellen produktiv zu werden. Wir dürfen den Kunden Mensch nicht als limitierte künstliche Intelligenz denken! Die Bereitschaft neue Geschäftsmodelle anzunehmen setzt die Bereitschaft voraus, mit ihnen auch tatsächlich umzugehen. Dazu müssen sie verstanden, akzeptiert und gelebt werden – nach der guten alten Formel: Knowledge – Attitude – Practice.
Konrad Schwarz Moderator 20. April 2018 · 17:21
Lieber Herr von Hassel,
haben Sie vielen Dank für Ihren Kommentar!
Ich
gebe Ihnen Recht, dass der Einsatz des Business Model Canvas auch für
die Betrachtung eines Plattformmodells möglich ist. Das Business Model
Canvas ist ein großartiges Instrument und fester Bestandteil unserer
täglichen Arbeit. Gerne möchte ich jedoch versuchen, Ihnen den Mehrwert
des Platform-Kits im direkten Vergleich zum Business Model Canvas
aufzuzeigen.
Bei der Erarbeitung einer strategischen
Grundausrichtung für Plattformen sehe ich klare Vorteile beim Einsatz
des Platform-Kits und insbesondere beim beinhalteten Value Canvas.
Konkret liegt der Vorteil meiner Meinung nach darin, dass die
Darstellungsform des Value Canvas einfacher zu erfassen und klarer zu
strukturieren ist. So lassen sich Wertflüsse, Beziehungen und
Werteversprechen sowie Anforderungen je Partei (z.B. Kunde, Anbieter und
Plattformbetreiber) einerseits sauber getrennt voneinander
visualisieren und andererseits ebenso gut in ihren Beziehungen
darstellen. Gerade dieser Effekt muss beim Business Modell Canvas
entweder über das Ausfüllen mehrerer Canvas erzeugt werden (inkl. eines
Übereinanderlegens) oder durch das Verwenden verschiedenfarbiger
Post-its. Letztere Herangehensweise verliert bei mehr als zwei Akteuren
schnell an Übersichtlichkeit und hat sich in der praktischen Anwendung
als umständlich gezeigt.
So ist es gerade das einfachere
Erfassen der Inhalte und Zusammenhänge, das aus meiner Sicht die
Denkaktivität und Kreativität fördert, zu sehr guten Ergebnissen führt
und einer gebahnten Denkweise entgegenwirkt. Insgesamt sehe ich die
beiden Modelle jedoch nicht als Konkurrenz, sondern gegenseitige
Ergänzung.
Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Konrad Schwarz