Wie trifft man richtige Entscheidungen in unserer komplexen und digitalisierten Welt? Unser nächster “wavespace Resident” beschäftigt sich genau mit diesem Thema und nutzt dafür unter anderem Künstliche Intelligenz. Simply Rational, eine Ausgründung aus dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, unterstützt als Trainings- und Beratungsunternehmen verschiedenste Branchen und Organisationen. Einer der Gründer, Dr. Niklas Keller, gibt Einblicke in das vielschichtige Thema.
Niklas, was macht ihr genau und an wen richtet sich euer Angebot?
Wir gehen in Organisationen und schauen uns dort das konkrete Entscheidungsverhalten und die Entscheidungsumwelt an und versuchen dann individuelle Lösungen zu entwickeln. Dabei nutzen wir zum Beispiel Methoden der kognitiven Feldforschung und der Datenwissenschaften, aber auch Design Thinking und andere agile Herangehensweisen, um ein möglichst genaues Verständnis des Entscheidungsproblems aufzubauen. Unser Angebot richtet sich im Grunde an Menschen und Organisationen mit Entscheidungsproblemen. Wir sind kein Produkt-fokussiertes Startup, welches eine Lösung für ein Problem anbietet. Wir verstehen uns als Trainings- und Beratungsunternehmen.
Welche Schwerpunkte habt ihr bei eurer Arbeit?
Wir haben unterschiedliche Schwerpunkte. Einer davon liegt im klinischen bzw. medizinischen Bereich, also dem sogenannten klinischen „Decision Support“. Hier arbeiten wir an transparenten KI Lösungen für Mitarbeiter. In der Medizin ist es zum Beispiel wichtig, dass man auch KI-gestützte ärztliche Entscheidungen nachvollziehen und die Entscheidungsgrundlage den Kollegen und Patienten transparent kommunizieren kann. Hier haben wir mittels datenwissenschaftlicher Methoden ein Entscheidungstool zur Vorhersage des post-operativen Sterberisikos von Patienten entwickelt. Dies soll Mediziner*innen dabei helfen zu entscheiden, ob ein Patient nach einer OP auf die Intensiv- oder Normalstation gebracht werden sollte. Wir haben anhand eines großen Datensatzes unterschiedliche Algorithmen gegeneinander auf ihre Vorhersagegenauigkeit getestet. Nach dieser Analyse haben wir gemeinsam mit den Entscheidern einen einfachen Entscheidungsbaum ausgewählt, der sowohl eine gute Vorhersagegenauigkeit hat, als auch leicht interpretiert und kommuniziert werden kann. Vor allem die Transparenz, also zu wissen was in den Algorithmus an Informationen eingeflossen ist und wie dieser zu einer Entscheidung kam, ist ein großer Vorteil. Sie erlaubt MedizinerInnen die Ergebnisse untereinander zu diskutieren und auch Rand- und Rahmenbedingungen, die ein Algorithmus nicht erkennen kann, in Betracht zu ziehen. So können menschliche und künstliche Intelligenz effektiv miteinander verbunden werden. Viele Studien haben gezeigt, dass eine solche Kombination von menschlicher und künstlicher Intelligenz deutlich effektiver ist als jede Intelligenz für sich allein.
Das klingt spannend. Gibt es weitere Beispiele?
Ein anderer wichtiger Bereich ist die Entwicklung von Maßnahmen zur Steigerung betriebswirtschaftlich relevanter KPIs. Bei einem großen deutschen Telekommunikationsunternehmen schauen wir uns unter anderem die “Fuck-Up Nights” an, die die Führungskräfte regelmäßig durchführen. Bei diesen Events berichten Führungskräfte voreinander und vor ihren MitarbeiterInnen von Fehlschlägen und Misserfolgen und was sie daraus gelernt haben. Unseren Kunden interessiert dabei: Wie ist der Einfluss der Fuck-Up Nights auf wissenschaftlich validierte psychologische Konstrukte wie z.B. die Psychological Safety* der Mitarbeiter? (*Psychological-Safety ist definiert als die Möglichkeit sich selbst zeigen und einsetzen zu können, ohne Angst vor negativen Folgen für Selbstbild, Status oder Karriere zu haben. Dies beinhaltet beispielsweise, dass man gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten auch kritische Themen ansprechen und Strukturen in Frage stellen kann ohne sich vor Vergeltungsmaßnahmen fürchten zu müssen).
Warum ist die Psychological Safety für ein Unternehmen von wirtschaftlicher Relevanz?
Geringe Psychological Safety ist eine der stärksten Vorhersagevariablen für defensives Entscheiden. Das heißt, dass man bewusst eine Entscheidung trifft, die für das Unternehmen sub-optimal ist, sich aber vor allem dazu eignet, sich später absichern zu können. Ärzte verordnen beispielsweise mehr Tests als medizinisch indiziert, weil man für Überbehandlung weniger belangt wird als für Unterbehandlung. Oder man setzt eine offensichtlich sinnlose Maßnahme um, weil man nicht mit dem Chef anecken möchte. Unsere Untersuchungen zeigen, dass je nach Branche ca. 20% bis 50% der wichtigsten Entscheidungen defensiv getroffen werden – da entsteht ein unglaublicher wirtschaftlicher Schaden!
Ihr seid noch ein recht junges Unternehmen – habt ihr schon Erfolgsgeschichten?
Erfreulicherweise können wir von Erfolgen berichten, ja! Schon im dritten Jahr beraten wir zum Beispiel den Deutschen Fußball Bund. Dieser baut gerade im Zuge von Restrukturierungsprozessen die DFB Academy auf, zu der auch ein Think Tank gehört. Hier will der DFB globale Spitzenforschung im Bereich Fußball machen. Simply Rational hilft beim Aufsetzen eines interdisziplinären Forschungsinstituts. Wir führen dafür Workshops und verschiedene Trainings durch.
Was unterscheidet euch als Beratung von anderen Wettbewerbern?
Wir können, perspektivisch, die “Schweizer Taschenuhr” unter den Beratungsunternehmen werden. Das heißt, wir entwickeln hochqualitative und exakte Lösungen für dedizierte Entscheidungsprobleme und beraten nicht “alle für alles”. Was uns auch unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir das Thema Unsicherheit sowohl als Forschungsfeld als auch als reelles Entscheidungsproblem für Unternehmen ernst nehmen: wie entscheide ich unter Unsicherheit, wenn ich etwas nicht quantifizieren kann? Unser Ziel ist bei unserer Arbeit immer, messbare Outcomes zu erhalten – zum Beispiel indem wir unsere Maßnahmen in Feldversuchen gegen Kontrollgruppen testen.
Zu guter Letzt die Frage – wie immer in unserer Reihe: warum habt ihr euch für den wavespace Berlin entschieden?
Hier im wavespace haben wir unser erstes richtiges Büro, bisher haben wir Simply Rational quasi “nebenher” gemacht. Wir haben uns viele verschiedene Räumlichkeiten angesehen. Ein etventure Principal hat uns dann auf wavespace aufmerksam gemacht, wir fanden die Atmosphäre gut und entspannt, auch die Location ist natürlich top – sowohl hinsichtlich der Stadt als auch des Gebäudes. Was uns positiv aufgefallen ist: bei wavespace ist es vertraglich verankert, dass Community Arbeit gemacht wird – dass man seine Arbeit vorstellen und Feedback von Anderen erhalten kann, finde ich sehr gut.
Vielen Dank für das Interview, Niklas!
Eckdaten: Simply Rational
Gründung: November 2015, Ausgründung aus dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Mitarbeiter: 5 Gründer (Professor Gigerenzer & ehemalige Doktoranden)
Sitz im wavespace: Seit Februar 2019
Kontakt: www.simplyrational.de